Barrierefreiheit im Internet – was ist das eigentlich?
Im Alltag begegnen wir den Folgen des etwas sperrigen Begriffs Barrierefreiheit schon länger – oft ohne es zu merken: Bordsteine werden abgesenkt und Randsteine mit Rillen verbaut. Tastaturen an Geldautomaten haben kleine Noppen, die ertastet werden können. An Ampeln „tickt“ es immer öfter. All diese Maßnahmen helfen Menschen, die sich anders durch die Welt bewegen: Sie können sich nicht auf die Kombination all ihrer Sinne und Gliedmaßen verlassen, sondern müssen mit weniger auskommen – sind also z.B. teilweise oder ganz gehbehindert, blind, oder taub … ach so geht also um Behinderte.
Wer behindert eigentlich wen?
Das Wort ist etwas irreführend. Die Frage ist, wer hier wen behindert. Ist es die Natur oder ist es die Gesellschaft, die Dinge so baut, dass sie grundsätzlich nur in einer Kombination aus allen Sinnen wahrgenommen und genutzt werden können. Sehen wir es mal so: Die Barrieren sind nicht fehlende Sinne, Gliedmaßen oder geistige Fähigkeiten, sondern Dinge und Tätigkeiten, die so gebaut sind, dass sie immer nur auf eine Art und Weise gebraucht oder ausgeführt werden können. Menschen sind von Natur aus Erfinder und geübt darin, fehlende Fähigkeiten durch Technik zu ersetzen. Würden wir also alle keine Augen besitzen, wäre unsere Welt trotzdem ähnlich hoch entwickelt wie jetzt – wir hätten nur andere Techniken, um sie wahrzunehmen. Manchmal liegt in der Beschränktheit ja auch gerade die Herausforderung.
Barrierefreiheit im Internet
Soweit so klar, was unsere gebaute Umwelt angeht. Aber was ist mit der virtuellen Welt? Dem Internet? Gibt es da auch Barrieren? Jede Menge. Am Anfang war das Internet und die ganze Welt der Programmierung am Bildschirm erstaunlich barrierefrei. Ja es war sogar für manche Menschen wie gemacht, für Blinde zum Beispiel. Da es immer um Programmcode – also Text – ging, konnte jede Information hervorragend zugänglich gemacht werden: Der Blinde lies sich den Text einfach vorlesen und schrieb seinen Code wieder hinein. Motorisch eingeschränkte Menschen konnten den Texteditor mit der Tastatur oder speziellen Eingabehilfen bedienen. Doch dann kam das World Wide Web und mit ihm bald die Bilder, Filme und graphischen Benutzeroberflächen. Hier wurde die Sache komplex. Versuchen sie mal, einen Webshop zu bedienen, wenn sie nur eine Hand zur Verfügung- oder ihre Brille vergessen habe … eben. Der zunehmende Gebrauch von Bildern und Grafiken macht das Netz spannender und interessanter. Aber er verzichtet zunehmend auf geschriebenen Text. Ganze Websites – wie zum Beispiel Instagram – bauen sogar nur auf Bildern und Tönen auf. Tauben und Blinden bleibt diese Welt damit teilweise verschlossen. Die wenigen Texte, die die Bilder und Töne begleiten, ersetzen kaum deren Aussagekraft. Oder denken sie an Shops und die vielen Popups und neuen Fenster, die während des Kaufprozesses erscheinen und wieder verschwinden.
Was hat das mit meiner Website zu tun?
Im Moment sind fast alle Websites nicht barrierefrei. Das merken die meisten von uns nicht – es sei denn, wir haben wie gesagt unsere Brille vergessen. Ja auch das ist eine Barriere. Und sie betrifft nicht nur sogenannte „Behinderte“ sondern uns alle – vor allem wenn mit zunehmendem Alter unsere motorischen Fähigkeiten und Augen schlechter werden. Aber selbst wenn wir uns und unsere Großeltern nicht mitrechnen, schließen wir eine beträchtliche Menge an Menschen in Deutschland von der Nutzung des Webs aus: ca. 7,8 Millionen.
Muss ich meine Website barrierefrei machen?
Verpflichtet sind im Moment in der EU lediglich alle Regierungsorganisationen und öffentliche Einrichtungen. Aber die Zeichen mehren sich, dass es nicht dabei bleiben wird. In den USA ist kürzlich der Pizza Bring-Dienst Domnino‘s verklagt worden, weil der Bestellprozess auf seiner Website nicht barrierefrei war. In der EU gibt es seit 2019 eine Richtlinie für die barrierearme Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen in der Privatwirtschaft. Es kann gut sein, dass sie bis 2025 bindend wird. Gut, das ist noch ein bisschen hin. Aber mal abgesehen von Gesetzen. Als Unternehmer sehen sie ja auch immer die Chancen, die in einer solchen Maßnahme liegen: Sie können ganz neue Zielgruppen erreichen indem sie ihre Produkte und Dienstleistungen im Web einfacher zugänglich machen. Und sie befassen sich ganz allgemein damit, ihre Website so einfach und zugänglich wie möglich zu machen. Das alleine ist schon viel wert. Übrigens gibt es Untersuchungen darüber, dass Menschen mit Behinderung, die einmal eine Website gefunden haben, die sie bedienen können, immer wieder kommen und damit sehr treue Kunden werden.
Ist es denn schwer, eine Website barrierefrei zu bauen?
Wie immer ist es wichtig, das Thema von Anfang an mitzudenken. Der beste Zeitpunkt ist kurz vor dem Relaunch … also dann, wenn sie sowieso alles neu ordnen und optimieren. Zeit also, den Inhalt so zu gliedern, dass er sich sinnvoll anordnet, Bildern eine Beschreibung zu geben und die Steuerung mit der Tastatur zu probieren und anzupassen. Sie verwenden Videos? Vergessen sie nicht die Untertitel. Damit haben sie schon viel mehr getan, als ein Großteil ihrer Wettbewerber. Und damit können sie dann auch gerne werben. Ihre Website leistet schließlich einen wichtigen Beitrag für eine offene und menschliche Gesellschaft und ist ein guter Anlass für einen Post in den Social Media oder einen Artikel in der lokalen Zeitung.
Google liebt Barrierefreiheit
Eine Website, die für alle zugänglich ist, ist auch für Maschinen optimal lesbar. Und das liebt Google (und Bing und alle anderen Suchmaschinen). Wenn das Internet Ihr Schaufenster ist, sind die Suchmaschinen Ihr Laufpublikum. Je mehr auf Ihrer Website online „vorbeischauen“, desto besser für Ihr Geschäft. Dabei macht es bekanntlich wenig Unterschied ob der interessierte Kunde blind oder taub ist.
Woran erkenne ich eine gute barrierearme Website?
Barrierefreiheit lässt sich nicht auf den ersten Blick erkennen. Jedenfalls nicht, wenn man den nicht vorher geschult hat oder wenn man selbst darauf angewiesen ist. Sie nehmen vielleicht die einfache Bedienung, die ordentliche Gliederung, die leicht lesbaren Texte und die deutliche Sprache wahr. Manche sagen, barrierefreie Webseiten sind langweilig und sperrig. Sie verhindern den sogenannten „Joy of Use“, den Marken so gerne nutzen, um ihre Botschaft emotional aufzuladen. Das stimmt so nicht. Im Idealfall wird Ihre Website deutlich aufgeräumter und vor allem bedienungsfreundlicher werden. Emotionen können durch Farben, Bilder, Videos und Animationen entstehen. Auf die müssen und sollten sie natürlich nicht verzichten. Aber sie können eben auch Alternativen bereitstellen für alle, die sie nicht wahrnehmen können.
Finde ich gut. Aber wo fange ich an?
Am Besten, indem sie erst mal schauen, wo sie stehen: Es gibt viele kleine Helfer-Tools im Internet, mit denen sie einzelne Aspekte ihrer Website auf Barrierefreiheit testen lassen können. Sie können zum Beispiel mit contrastchecker.com prüfen, ob ihre Farben genug Kontrast besitzen, um Inhalte zu gliedern oder Funktionen zu kennzeichnen.
In den folgenden Artikeln werde ich einige dieser Helfer anwenden und erklären. Bei Fragen helfe ich natürlich gerne! Schreiben Sie mir einfach über mein Kontaktformular.