Was wir im Design alles verlernen müssen Beobachtungen auf der Dutch Design Week 2024
Seit mittlerweile über 10 Jahren fahre ich einmal im Jahr im Oktober zur Dutch Design Week (DDW) nach Eindhoven in die Niederlande. Zum einen, weil ich im Rheinland wohne und es die erste Grenze ist, die ich überqueren kann, um mal über den Tellerrand hinaus zu schauen. Und zum anderen, weil es vor allem unsere Nachbarn – die Niederländer – sind, die neue Ideen sehr schnell erkennen und ausprobieren, während wir in Deutschland noch überlegen, was daran so wichtig ist und wie wir es richtig machen können.
Seit ich mich für Barrierefreiheit interessiere, schaue ich bei meinen Besuchen natürlich immer auch, was es Neues zu diesem Thema gibt. Und dieses Jahr – so wie auch letztes Jahr schon – gehörten Inklusion und Barrierefreiheit mit zu den Hauptthemen, die dort aus- und zur Diskussion gestellt wurden.
Die Botschaft der inklusiven Gesellschaft
Die Dutch Design Week ist ein Design-Festival. Um die Bedeutung von Design für unsere Gesellschaft hervorzuheben, hat die Dutch Design Foundation – Ausrichterin der Dutch Design Week – die „World Design Embassies“ gegründet – Botschaften für wichtige gesellschaftliche Themen – die sozusagen eine ständige Vertretung und Stimme in unserer Welt brauchen, um gelöst zu werden – angelehnt an die politische Institution der Botschaft als ständige Vertretung eines Landes im Ausland. Acht Themen bekamen so eine „Botschaft“ als ständige Vertretung in der Weltgemeinschaft für so wichtige Themen wie Umweltschutz und Gesundheit. Eine davon ist die „Embassy of Inclusive Society“ – also die Botschaft der inklusiven Gesellschaft. Ihrem Pfad bin ich auf der Dutch Design Week gefolgt und habe spannende Entdeckungen gemacht.
Was müssen wir verlernen?
Eine Frage zieht sich wie ein roter Faden durch alle Projekte des Inclusive-Society-Pfades: Was müssen wir verlernen, damit die Zukunft besser wird? Ich bin ein großer Freund davon, Dinge zu verlernen, die nicht mehr benötigt werden. Nicht mehr benötigt werden meiner Meinung nach zum Beispiel Design-Regeln, die Menschen ausschließen. Typisches Beispiel aus meinem Umfeld – dem Web: Nicht-Kennzeichnung von Links, weil das nicht „ästhetisch“ sei. Der Gedanke dahinter: „Eingeweihte“ erkennen Links auch so und alles soll möglichst „clean“ und reduziert aussehen. Unterstrichene Wörter im Text stören das ästhetische Gesamtbild. Wer wird aber dadurch ausgegrenzt? Alle, die nicht gut sehen oder die auf deutliche Hinweise angewiesen sind, weil sie Links sonst nicht erkennen können. Wenn es als „schön“ gilt, solche wichtigen Hinweise wegzulassen, stimmt meiner Meinung nach etwas mit unserer Ästhetik nicht.
Nachfragen um Barrieren abzubauen
Um etwas wegzulassen, müssen wir natürlich erst einmal bemerken, dass es da ist. Die meisten Barrieren entstehen nicht aus Absicht, sondern aus Unwissenheit. Barrieren zu erkennen und den Ist-Zustand zu hinterfragen ist daher so wichtig. Ein Projekt der Embassy of Inklusion heisst daher „vraagje“ was so viel heisst wie „kleine Frage“. Auf vraagje.nl geht es darum, Fragen zu stellen. Ein Beispiel: „Wie können wir unser Büro so umbauen, dass wir jeden aufnehmen können, egal ob behindert oder nicht?“ Die Antworten werden nicht mitgeliefert. Aber da Menschen dazu neigen, nach Antworten zu suchen, werden sie selbst aktiv und erkennen dabei erst, wieviel Barrieren sich in ihrem Umfeld verstecken. Natürlich helfen Standards dabei, sie zu entdecken und zu beheben. Aber es sind auch mehr und andere Lösungen möglich. Vielleicht sogar ganz einfache wie eine Rampe aus Lego, die eine Treppe für Rollstuhlfahrende überwindbar macht.
Die Inklusive Dance Company
Wie können wir professionellen Tanz inklusiver machen? Brauchen wir neue Methoden, um den persönlichen Fortschritt einer Tänzerin oder eines Tänzers zu messen und zu bewerten? Wie müssen diese Methoden aussehen, damit auch Menschen mit einer kognitiven Behinderung sie verstehen und selbstständig nutzen können? Und welche Rolle kann Design dabei spielen? Diese Fragen waren Ausgangspunkt für das Projekt „A New Way to grow“ von ST-DUO. Die damit nominiert wurden für den Dutch Desgin Award 2024.
Im Rahmen des Research Projektes Design Thinking ≠ Doing! arbeitete ST-DUO mit Misiconi zusammen, einer inklusiven Tanzkompanie mit Tänzern mit unterschiedlichen Behinderungen. Mit Hilfe von Design wurde ein Toolkit entwickelt, das Lehrern und Tänzern die Möglichkeit gibt, inklusivere Bildungsmethoden zu erforschen. In Zusammenarbeit mit jungen erwachsenen Tänzern mit geistigen Behinderungen und/oder Lernschwierigkeiten untersuchte ST-DUO, welchen Mehrwert Design für den integrativen Unterricht haben kann. Das entstandene Toolkit hilft den Tänzern, ihren Prozess zu dokumentieren, Autonomie zu entwickeln und Einblicke in ihre Entwicklung zu gewinnen. Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit wird in einer Publikation mit dem Titel „A New Way to Grow“ dokumentiert, die Interviews mit Experten aus den Bereichen Bildung und Design enthält und einen umfassenden Überblick über Misiconis innovativen Weg der Talentförderung bietet.
Die Scooter-Mobile-Dance Company
Um veraltete Denkmuster und Schönheitsideale zu verlernen, braucht es manchmal etwas Humor. Ich freue mich daher, über diese Idee: Die Scooter-Mobile-Dance Company – ebenfalls nominiert für den Dutch Design Award. Die Idee ist einfach: Wie können wir den Stolz der Scooterfahrenden auf ihr wichtiges Fahrzeug vermitteln? Indem wir sie tanzen lassen! Auf einmal blicken wir ganz anders auf diese Assistenzfahrzeuge, die in unseren Straßen immer häufiger zu sehen sind. Statt Mitleid spüren wir plötzlich auch den Stolz der Fahrenden, sich frei und selbstständig bewegen zu können. Ich finde, solche Design-Lösungen großartig!
Der „typisch deutsche Ansatz“
Ein bisschen schmunzeln musste ich auch bei einigen deutschen Arbeiten, die auf der Dutch Design Week zu sehen waren. Nicht weil ich sie witzig fand, sondern weil sie so typisch sind, für unsere Weise, Probleme zu lösen: nämlich pragmatisch, praktisch, nützlich. Der „Deutsche Rat für Formgebung“ – international als „German Design Council“ auftretend – hat sich mit einigen Stundierendenarbeiten auf der DDW präsentiert. Auch hier schwingen Inklusion und Barrierefreiheit mit im Titel der Ausstellung: „The Magic Touch – Designing togetherness“. Die Arbeiten der Studierenden zeigen, dass die „Gute Form“ auch Barrieren abbauen kann und dass Design für Alle „schick“ aussehen kann. Dabei wurden alltägliche Barrieren entdeckt: Dass ein Stecker zum Beispiel fasst immer so fest sitzt, dass beide Hände benötigt werden, um ihn herauszuziehen. Die Lösung besteht in einem Kippschalter, der beim Herausziehen unterstützt, so dass er auch mit einer Hand gezogen werden kann. Gut greifbares Besteck oder ein gut gestalteter Duschstuhl sind weitere Beispiele.
Fazit:
Ich habe hier nur einen kleinen Ausschnitt der vielen Arbeiten und Projekte zeigen können. Es lohnt sich auf jeden Fall, im nächsten Jahr selbst einmal hinzufahren und sich Inspiration zu holen. Mittlerweile ist es auch kein rein niederländisches Festival mehr, sondern ein europäisches Event, dass die Niederländer aber mit ihrem Sinn für Farben und Leichtigkeit toll in Szene setzen und das soviel Mut macht, die Probleme unserer Zeit als Herausforderungen und Quelle für neue Ideen zu begreifen und nicht so sehr als Bürde. Schön, dass wir solche Nachbarn haben!
P.S.:Ich hatte übrigens schon mal über die DDW geschrieben. Sogar auf Englisch